Das Ich verabschiedet sich

Wissenschaft - 12.09.2016 - Michael Ellenbogen BA, MA

Über die Alzheimer Krankheit

Entsprechend aktueller Prognosen wird die Alzheimer-Krankheit bis 2050 erheblich steigen. Da diese Entwicklung der Volkswirtschaft enorme Kosten verursacht, konnte sich dieses neurodegenerative Leiden mittlerweile auch zu einem relevanten gesellschaftspolitischen Thema etablieren. „Zur Entstehung der Alzheimerdemenz gibt es mehrere Theorien, von denen aber keine alle Aspekte befriedigend erklären kann. Hier wird weitere Grundlagenforschung notwendig sein,“ beschreibt Professor Dr. Eckhard Mandelow die gegenwärtige Sichtweise zu diesem Forschungsbereich. Die vorherrschenden Forschungsrichtungen konzentrieren sich auf die „Amyloid-Hypothese“ sowie die „Tau-Hypothese“. Diese entsprechen den beiden Proteinarten, die man in veränderter Form in den Gehirnen von an Alzheimer erkrankten Personen nachweisen konnte. Parallel dazu bestehen auch Hypothesen, die Veränderungen im Energiestoffwechsel (in den Mitochondrien) oder Entzündungsvorgänge (Inflammation) als mögliche Auslöser der Krankheit darstellen. „Meine Frau und ich forschen auf dem Gebiet des „Tau-Proteins“ am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. Andere Forscherteams konzentrieren sich auf das sog. "Amyloid-beta" Protein oder andere pathologische Proteine im Gehirn, beispielsweise Professor Dr. Christian Haass an der Universität München sowie am DZNE in der bayrischen Hauptstadt.

Im Gespräch mit dem Herausgeber der Internetzeitschrift Magnolienpfirsich, Michael Ellenbogen, erläutert das Ehepaar die vielfältigen Aspekte ihrer bisher gewonnenen Erkenntnisse:

Michael Ellenbogen: Auf welche Weise können Sie den Beweis erbringen, dass das Tau-Protein eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Alzheimer Erkrankung hat?

Eckhard Mandelkow: Dazu möchte ich vorausschicken, dass nicht wir den Beweis der speziellen Rolle des Tau-Proteins im Zusammenhang mit Alzheimer  erbracht haben. Wir haben einige Beiträge zur Funktionsweise des Proteins erbracht. Hier ist es wichtig die historische Entwicklung der bisherigen Forschungen darzustellen. Die Entdeckung der Tau-Pathologie bei Morbus Alzheimer hat eine lange Geschichte, beginnend bereits mit der ersten Publikation von Alois Alzheimer an der Universität München  zu dem Thema. Er entdeckte 1907 die sogenannten "Neurofibrillenbündel" im Gehirn von Patienten. Aber erst seit 1986 weiß man (durch verschiedene Teams in USA, Japan, Deutschland, Österreich u.a.), dass diese Bündel aus Tau-Protein bestehen, das in Nervenzellen vorkommt und dort beim Wachstum von Neuronen und bei Transportvorgängen eine Rolle spielt.

Eva-Maria Mandelkow: Ein wichtiger Durchbruch war 1991, als Heiko und Eva Braak an der Universität Frankfurt beweisen konnten, dass die Ausbreitung der pathologischen Veränderungen des Tau-Proteins im Gehirn genau mit den klinischen Stadien der Demenz korreliert. Damit konnten sie die sogenannten "Braak-Stadien" der Krankheit definieren, die heute weltweit angewendet werden:

Braak-Stadien 1, 2 = keine klinischen Anzeichen von Demenz, aber bereits Neurofibrillen in bestimmten Gehirnregionen, die für das Gedächtnis wichtig sind, z. B. Hippocampus;

Braak-Stadien 3, 4 = beginnende "milde kognitive Störungen" (MCI = "mild cognitive impairment), mit weiterer Ausbreitung der Tau-Pathologie im Gehirn;

Braak-Stadien 5, 6 = schwere Demenz, Verlust von Gehirnmasse (Neuronen), Ausbreitung der Tau-Pathologie in der ganzen Hirnrinde (Cortex).

Ein weiterer Durchbruch für die Rolle von Tau war die Entdeckung in den späten 90'er Jahren (durch verschiedene Gruppen weltweit, v.a. USA, Kanada, Japan, England, Niederlande....), dass es Mutationen im Tau-Gen gibt, die zu verschiedenen Formen der Neurodegeneration führen können, und die auf der Ebene von Zellen ähnliche Symptome zeigen wie bei Alzheimer (d.h. pathologisch verändertes Tau). 

Michael Ellenbogen: Zu welchen konkreten Ergebnissen sind durch Ihre mehrjährige Arbeit gekommen?

Eckhard Mandelkow: Ich würde die Resultate in einzelne Punkte unterteilen:

1)Wir konnten verschiedene Aspekte der anomalen Veränderungen beim Tau analysieren (beispielsweise chemische Veränderungen (Phosphorylierung) Fragmentierung, die die Funktion beeinträchtigen), und konnten erstmals den Vorgang der Aggregation zu Neurofibrillenbündeln, damit sind faserartig verhärtete Tau-Proteine gemeint, im Reagenzglas nachvollziehen. Das eröffnete die Möglichkeit, die Ursachen und Konsequenzen der Veränderungen am Tau in Nervenzellen genauer zu untersuchen. Wir zeigten unter anderem, wie das Tau Protein den Stofftransport in Nervenzellen beeinträchtigen kann.

2) Die Ergebnisse waren außerdem die Basis für die nachfolgenden Versuche, Hemmstoffe gegen die pathologischen Veränderungen zu finden, die möglicherweise als Vorläufer von Medikamenten dienen könnten. Im Hinblick darauf haben wir zum Beispiel 200'000 Substanzen untersucht.

3) Ein weiterer wesentlicher Fortschritt war im Jahr 2000 die Entdeckung eines kleinen Strukturmotivs im Tau-Protein, dass für die pathologische Aggregation verantwortlich ist. Mit diesem Knowhow konnten wir verschiedene Varianten des Tau-Proteins entwickeln. Diese  bewirkten im Tierversuch, bei sogenannten "transgene Mäusen", dass die Mäuse entweder besonders schnell erkrankten, oder überhaupt keine Symptome einer pathologischen Veränderung aufwiesen.

4) Damit konnten wir „Mausmodelle“  entwickeln, in denen das Tau-Gen durch einen „genetischen Schalter“ aktiviert und wieder deaktiviert werden kann. Somit können wir im Tiermodell den Beginn der Krankheit (zu dieser Entwicklung gehören Gedächtnisstörungen) untersuchen, und vor allem auch die Krankheit wieder "ausschalten". Dieser letzte Aspekt ist wichtig, weil er zeigt, dass die Krankheit durchaus behandelt werden könnte, auch in einem relativ späten Stadium. Voraussetzung dafür wäre ein Wirkstoff, der am richtigen Zielort im Gehirn ankommt und die Aggregation, also die Verhärtung des Tau-Proteins unterbricht.

Michael Ellenbogen: Was ist der Grund, dass es überhaupt zur Verklumpung des Tau-Proteins kommt, dass die Synapsen zerstört?

Eckhard Mandelkow: Diese Frage ist bisher nicht eindeutig geklärt: Man weiß ungefähr, wie und wo das Tau-Protein im Gehirn pathologisch verändert ist, aber man weiß nicht genau, warum und welche normalen Zellprozesse dadurch beeinträchtigt werden. Es gibt eine Reihe von Hypothesen (dazu gehört die Beeinträchtigung des Stoffwechsels von Neuronen, des Transportsystems, oder der Signalübertragung zwischen Neuronen an den Synapsen), aber keine Hypothese erklärt alle Aspekte. Das liegt vermutlich daran, dass Tau ein "Multifunktions-Protein" ist, es kann mit vielen Partnern in der Zelle wechselwirken, und dementsprechend unterschiedliche schädliche Wirkungen hervorrufen. Tatsache ist aber, dass fast immer die "Aggregation" des Tau-Proteins eine Rolle spielt, so dass sich die Entwicklung von Medikamenten auf diesen Aspekt fokussiert.

Michael Ellenbogen: Mit welchen Substanzen kann man der toxischen Entwicklung des Tau-Proteins entgegenwirken?

Eva-Maria Mandelkow: Man kann im Prinzip auf verschiedene Weisen eingreifen, (a) Verringerung von Tau-Protein generell im Gehirn, (b) Hemmung der Aggregation oder Hemmung von anderen pathologischen Veränderungen des Tau-Proteins, (c) Beschleunigung der zellulären Abbauwege von Tau. Alle diese Wege werden z. Zt. in Forschung und Klinik untersucht.

Erläuterung zu (a): Die Synthese von Tau-Protein im Gehirn kann beispielsweise durch sogenannte "Antisense Oligonucleotide" (ASO) gebremst werden, die die Übersetzung des Tau-Gens in das Tau-Protein herunter regeln.

Erläuterung zu (b): Die Aggregation des Tau-Proteins kann durch pharmakologische Wirkstoffe gehemmt werden.

Erläuterung zu (c): Es gibt Wirkstoffe, die die Aktivität der Abbaumechanismen hochregulieren (wie das Proteasom oder die Autophagie).

Große Hoffnungen werden derzeit in die Therapie mit Antikörpern gesetzt. Maßgeschneiderte Antikörper könnten Tau-Protein und Aggregate erkennen und sie aus dem Verkehr ziehen, in dem sie durch spezialisierte Zellen (Mikroglia) abgebaut werden. Dies wäre eine Art Impfung gegen die Tau-Pathologie. Man unterscheidet eine "passive" Immunisierung, wo geeignete Antikörper erst hergestellt und dann dem Patienten gespritzt werden, und eine "aktive" Immunisierung, bei der der Patient mit einem Stück des Tau-Proteins geimpft wird und dann selber Antikörper entwickelt (analog etwa zu einer Grippeimpfung). Beide Verfahren werden gegenwärtig klinisch getestet.

Michael Ellenbogen: Wie schnell kann die Produktion von schädlichem Tau aufgehalten werden?

Eckhard Mandelkow: In Tiermodellen und zum Teil auch in klinischen Versuchen bei Menschen hat sich herausgestellt, dass durch Impfung die schädlichen Protein-Aggregate unerwartet schnell aus dem Gehirn verschwinden. Die große Frage ist zum einen, ob und welche Nebenwirkungen bei dieser Behandlung auftreten (manche vielversprechende Versuche mussten aus diesem Grund schon abgebrochen werden), und zum anderen, ob sich der Zustand des Patienten in Bezug auf die Gedächtnisleistung verbessert. Es gibt ermutigende Versuche an Tieren, aber Ergebnisse von klinischen Versuchen stehen noch aus.

Ein Hauptproblem ist, wie oben erwähnt, dass sich die Aggregate von Tau und von Amyloid-beta über Jahre hinweg unbemerkt aufbauen, bevor man irgendwelche Anzeichen bemerkt (im Stadium der "milden Gedächtnisstörung", Braak-Stadium 3). Das heißt die Therapie muss gut genug sein, um auch in einem relativ späten Zeitpunkt zu wirken.

Michael Ellenbogen: Bis zu welchem Zeitpunkt ist der Krankheitsprozess umkehrbar?

Eva-Maria Mandelkow: Es gibt bisher keine Medikamente, die den Krankheitsprozess umkehren können. Allerdings können die bisherigen Medikamente den Prozess verlangsamen und so das Leben der Patienten und ihrer Angehörigen deutlich erleichtern. Die bisher zugelassenen Medikamente zielen nicht direkt auf die Aggregation von Tau-Protein oder Amyloid-beta, sondern auf eine verbesserte Kommunikation zwischen Nervenzellen über sogenannte "Botenstoffe" (Neurotransmitter), die bei an Morbus Alzheimer erkrankten Personen  abnehmen (z. B. das Azetylcholin). Das heißt, die heutige Therapie kann die Symptome für einige Zeit behandeln, aber nicht die Ursachen der fortschreitenden Demenz.

Michael Ellenbogen: Ab wann muss bei Verdacht auf eine Alzheimer Erkrankung untersucht werden, um mit einer neuen Therapie auch Erfolge zu erzielen?

Eckhard Mandelkow: Wir selbst arbeiten in der sogenannten präklinischen Forschung an den Krankheitsprozessen sowie an möglichen Therapien. Neue Behandlungsmethoden werden nicht durch einzelne Gruppen erarbeitet, sondern durch große internationale Kooperationen, unter Mitarbeit der Pharmaindustrie, staatlicher Gesundheitsorganisationen, Universitätskliniken. Es ist gerade bei der Alzheimerdemenz ein sehr weiter Weg von der Erkenntnis eines Krankheitsprozesses bis zu einem Medikament - sicher komplizierter als eine Landung auf dem Mond.

Wichtig ist, dass nicht jede Gedächtnisstörung gleich Alzheimer bedeutet, es gibt verschiedene Ursachen von abnehmendem Gedächtnis, die von Neurologen meist gut unterschieden werden können und unterschiedlich behandelt werden. Bei Gedächtnisstörungen sollte man sich an eine "Gedächtnis-Sprechstunde" wenden, die es inzwischen in vielen Kliniken gibt, wo spezialisierte Tests durchgeführt werden. Weitere Anlaufstellen sind die Alzheimer-Selbsthilfegruppen, die es in vielen Städten gibt. Wenn die Diagnose positiv sein sollte, wird von der Klinik ein Behandlungsplan vorgeschlagen.

Wenn in der Familie bereits Fälle von Alzheimer aufgetreten sind, sollte man daran denken, dass in einer sehr kleinen Zahl von Fällen auch eine genetische Übertragung eines Erbfehlers vorliegen kann (beispielsweise Mutationen in den Genen für das Amyloid-Protein und das Tau-Protein sowie auch andere). Dies kann durch einen genetischen Test abgeklärt werden.

Es gibt außerdem seit einigen Jahren Früherkennungsmethoden durch eine nicht-invasive Abbildung des Gehirns, die in Universitätskliniken angeboten werden. Dazu gehören die Magnetresonanztomographie (MRT) und die Positronen-Emissionstomographie (PET). Mit beiden Methoden können Gehirnveränderungen oder Ablagerungen von Proteinen inzwischen gut erkannt werden, sie geben einen Anhaltspunkt für die weitere Prognose und für die Behandlung.

Michael Ellenbogen: Wann wird es Medikamente geben?

Eva-Maria Mandelkow: Der Silberstreifen am Horizont ist, dass wir heute sehr viel mehr über die Krankheitsprozesse wissen als noch vor wenigen Jahren, und dass inzwischen auch in der Politik das Problem der Alzheimer-Krankheit eine hohe Priorität bekommen hat (schon wegen der hohen Kosten, die auf das Gesundheitssystem zukommen, und wegen der nach wie vor steigenden Lebenserwartung, die auch einen Anstieg der Alzheimer-Fälle bedeutet). Trotzdem wird alles davon abhängen, ob die jetzt laufenden Tests von neuen Medikamenten positiv verlaufen. Dennoch muss man realistisch von einem Zeitraum von 5-10 Jahren sprechen, da die Nebenwirkungen von möglichen Medikamenten, die ja über einen sehr langen Zeitraum genommen werden müssen, noch nicht bekannt sind.

Michael Ellenbogen: Ist die Hoffnung berechtigt, in nächster Zukunft Patienten, die an Alzheimer leiden, nachhaltig helfen zu können?

Eckhard Mandelkow: Das Ziel der Forscher und Kliniker ist, eine echte Therapie der Alzheimer-Demenz finden - dies wird noch einige Jahre dauern. In der Zwischenzeit - und unabhängig von neuen Medikamenten - sollte man an Faktoren denken, die das Risiko der Krankheit erhöhen. An erster Stelle stehen hier Herz-Kreislauf-Probleme: schlechte Durchblutung, Arterienverkalkung, hohes Cholesterin sind schlecht für den ganzen Körper, vor allem für das Gehirn. Übergewicht ist ein weiteres Problem, es ist ein Risikofaktor für Diabetes und für Alzheimer. Deshalb gilt: Moderat essen, ausreichende Bewegung, kein Rauchen, wenig Alkohol, und generelle Gesundheitsvorsorge (viele Männer kennen ihren Blutdruck nicht!). Insgesamt: Was gut ist fürs Herz ist auch gut fürs Gehirn!

Michael Ellenbogen: Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Weitere Informationen zum Thema Morbus Alzheimer:

Alzheimer-Forschung allgemein:

www.dzne.de (in Deutsch)

www.alzforum.org (in Englisch)

Forschung des Mandelkow-Labors:

www.dzne.de/Mandelkow

www.mpasmb-hamburg.mpg.de

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Der Autor dieses Artikels
Michael Ellenbogen BA, MA
Michael Ellenbogen
Michael Ellenbogen BA,MA, geboren in Wien, seit 1993 als freier Journalist in Wien tätig, hat Politikwissenschaft in Wien studiert und das interdisziplinäre Studium der Balkanwissenschaften abgeschlossen.