Der Genius und sein Alter Ego
Der Sohn eines Bahnbeamten aus Tulln, Egon Schiele prägte die Entwicklung der Bildenden Kunst in Österreich nachhaltig bis in die Gegenwart. In Wirklichkeit war es ein gesellschaftlicher Aufbruch, den der Maler einleitete. In seinem Kopf lebte der Meister bereits seiner Zeit voraus. Doch genau dieser Umstand drängte ihn zeitweilig in das gesellschaftliche Abseits des noch jungen 20. Jahrhunderts. Einer Ära, in dieserwelcher einzig der tatsächliche sowie der symbolische Staub vergangener Zeiten eine träge, teils degenerierte und keine Veränderungen akzeptierende Gesellschaft innerlich wie äußerlich bedeckte. Dennoch rumorte es unter der dünnen Oberfläche eines vom Adel und konservativen Bürgertum dominierten Staates.
Der verschlossene, stille und hoch sensible junge Mann fand im kleinbürgerlichen Milieu keine Ansprache und schloss sich zunächst im Kokon seiner Vorstellungswelt ab. Seine Form der Artikulation war die Welt zeichnerischer Darstellungen und kontrastreicher Farbkompositionen. Das Talent des jungen Schiele fand seine Förderer, doch die Akademie der Bildenden Künste als Kaderschmiede für kommende große Namen der bildenden Kunst war nicht der Pfad der Erfüllung für den Schöpfer neuer Denk- und Darstellungsdimensionen. Da entsprach die von ihm mitbegründete Neukunstgruppe eher seinen Maßstäben. Eine der Vaterfiguren seiner Orientierung war Gustav Klimt, doch der Jugendstil sollte keinesfalls der finale Kurs des jungen Malers werden, vielmehr identifizierte sich Egon Schiele mit dem Expressionismus, der düster, fahl, knochig, krank und abgemagert die Ästhetik eines ausdruckstarken Charakters und provokanten Geistes offen präsentierte und schon zu seiner Zeit Anhänger fand.
Das Aufbrechen klassischer Linien, ver- und bedeckter Anschauungen in einer Ära in der Sexualität kriminalisiert und der automatisch negativ beleumundeten Unterschicht zugeschrieben wurde, war ein zentrales Thema in Schieles Werk. Küchenhilfen und Stubenmädchen, aber auch Näherinnen, Verkäuferinnen, Schneiderinnen, Tänzerinnen wurden ebenso wie Schauspielerinnen in der Zeit zwischen dem Fin de Siecle und dem I. Weltkrieg automatisch in die Nähe der Prostitution gerückt. Sexualität hatte beim gehobenen Bürgertum nur im Zuge des Vollzuges ehelicher Pflichten eine Bedeutung, auf die jedoch junge Frauen vor ihrer Heirat nicht vorbereitet wurden. Aufklärung war damals kein Thema. In dieser puritanischen Epoche fand der sensitive Künstler einen Lebensmenschen auf Zeit, eine junge Frau die man durchaus als sein zweites ich bezeichnen konnte. Wer war diese Frau? Wally Neuzil, aus kleinen Verhältnissen stammend verdingte sich als Hausmeisterin, später als Verkäuferin. Mit ihrem Eintritt in Egon Schieles Leben begann die fruchtbarste Ära seines Lebens. Sie war seine Muse, sein Modell, seine Partnerin, Freundin und Gefährtin in jeder Lebenslage.
Sie ergänzten sich und Wally verstand den über alle Maße gefühlsorientierten, manchmal schwankenden und gleichzeitig ausdrucksstarken Kunstschaffenden. Egon Schiele widmete seiner Gefährtin zwei Meilensteine seines Lebenswerkes: „Das Bildnis Wally Neuzil“ sowie „Der Tod und das Mädchen“. Der Ausnahmekünstler verewigte damit den wahrscheinlich wichtigsten Menschen in seinem Leben. Sie konzentrierte ihr Leben ausschließlich auf Egon Schiele, den sie sehr liebte und für ihn nahezu alle wichtigen Tätigkeiten zur Existenzabsicherung erledigte, wie Mietangelegenheiten, den Verkauf der Bilder, das Eintreiben der Honorare bis hin zur Besorgung der Malutensilien. Wally Neuzil wohnte allerdings nicht beim Künstler, der den räumlichen Abstand zu ihr bewusst wahrte.
Sie übernachtete manchmal in seinem Atelier und das Paar unternahm auch immer wieder Reisen. Egon Schiele und Wally Neuzil lebten „in wilder Ehe“ einer zur damaligen Zeit verpönte Lebensweise eines Paares. Sie wurden angefeindet und ausgegrenzt. Ohne Trauschein entsprach das Zusammenleben von Mann und Frau keinesfalls den moralischen Strukturen dieser Epoche. Egon Schieles Lebensstil stimmte nicht mit den bürgerlichen Sittlichkeitsvorstellungen überein. Deshalb war auch die Aufenthaltsdauer des Paares in Krumau, heute Cesky Krumlov, der Geburtsstadt von Egon Schieles Mutter, zeitlich begrenzt. Die Art des Zusammenlebens der beiden Liebenden fand in dieser Stadt absolut keine Akzeptanz. Auch die Besuche von Kindern, die als Modell vor dem Künstler posierten, gaben den Anstoß ihn aus der Stadt zu „vertreiben“. Der Maler und seine Muse ließen sich danach „In der Au“ bei Neulengbach nieder und auch hier trat die Öffentlichkeit gegen den Kunstschaffenden auf. Wegen der Besuche von Kindern und Jugendlichen wurde der Maler wegen sexueller Übergriffe auf eine Minderjährige verhaftet. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos. Dennoch wurde Egon Schiele wegen der Anfertigung unsittlicher Zeichnungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die er 24 Tage lang absitzen musste. Auch während dieser für ihn schweren Zeit stand Wally Neuzil treu zu ihm.
Trotzdem sollte sie, die ihn aufopfernd liebende Frau nicht dauerhaft an seiner Seite bleiben. Der Künstler entschied sich schließlich die aus gut bürgerlichen Verhältnissen stammende Edith Harms zu ehelichen. Anfangs plante Schiele ein Dreiecksverhältnis mit beiden Frauen, das aber sowohl Wally Neuzil als auch Edith Harms kategorisch ablehnten. Der hoch sensible Mann trennte sich sehr schwer von der Frau, die für ihn über viele Jahre die Position eines Felsens in der Brandung innehatte. Wally Neuzil meldete sich zum Dienst als Krankenschwester in der k.u. k. Armee und wurde nach Sinj in Dalmatien abkommandiert. Sie glaubte an eine dauerhafte Beziehung mit Egon Schiele und richtete ihr äußeres und inneres Leben danach aus. Der Beziehungsbruch war eine markante Zäsur in ihrem Leben.
Copyright der Bilder: Leopold Museum Wien, ÖNB, Belvedere, Wien Museum
Das Leopold Museum in Wien präsentiert in einer herausragenden und sehr umfangreichen Ausstellung diese einzigartige Beziehung zweier außergewöhnlicher Menschen von 27. Februar bis 7. September 2015.
Adresse und Kontakt:
Leopold Museum Privatstiftung
Museumsplatz 1
1070 Wien
Tel: +43 (1) 52 570
e-mail: office@leopoldmuseum.org
Homepage: www-leopoldmuseum.org
Öffnungszeiten: Täglich: 10-18 Uhr, Donnerstag: 10 – 21 Uhr
Das Buch zur Ausstellung:
Wally Neuzil Ihr Leben mit Egon Schiele
Diethard Leopold, Stephan Pumberger, Birgit Summerauer
Leopold Museum,Wien, Christian Brandstätter Verlag, Wien,
183 Seiten, 1.Auflage, 2015